Timidus
Samstag, 27. März 2004
Besäufnis
Gestern im Suff erschien mir die Göttin Juno.
„Rufus", sprach sie, „unsittlich ist dein Lebenswandel, verwerflich und abscheulich dein Benehmen!"
„Sieh dich doch an!", fuhr sie fort, „dein Antlitz aufgedunsen, das Augenweiß gerötet. Besudelt ist dein Gewand vom eigenen Erbrochenen! Die Wirte spotten deiner, reiben sich die Hände aus Freude über dein Geld! Rufus besinne dich, sonst bin ich die nicht mehr wohlgesonnen!"

Der Wein war süß, rann mir nur so die Kehle hinunter. Die Becher stellte man auf den Bauch der Cynthia, die unbekleidet am Tresen lag. Oh, jener liebreizende, flache Bauch der Dirne. Sie lachte, die Becher kippten um. Flavius und ich leckten den Wein von ihrem Leib. Noch einen Krug bestellten wir, aßen gebratene Hühner. Flavius verlangte nach edlem Falerner und der Wirt brachte ihn herbei. Zwei Legionäre waren von ihren Stühlen gefallen. Zehn Krüge hatten sie leer getrunken.

Großes Gelächter brach in der Taverne aus. Die zwei Legionäre hatten sich beinahe zu Tode gesoffen. Junge Knaben saßen in der Ecke, spielten Harfe und sangen. Vergoldete Lorbeerkränze hatte man ihnen aufgesetzt. Flavius gab mir eine Mohnkugel in den Becher. Bei Baccus! Alles begann sich in meinem Kopfe zu drehen. Heiter wurde mein Gemüt, fröhlich und unbeschwert. Ich wähnte mich im Fluge, fühlte, als ob ich durch die finstre Kaschemme schwebte. Cythias Reize fing ich zu liebkosen an. Berührte mit meinem Munde ihren weißen Busen, bewegte meine Lippen sachte bis zu ihrer Scham. Die Dirne kicherte, gickste vor Lust. Flavius machte sich inzwischen daran, einen der singenden Knaben zu entkleiden. Ein Soldat stieß ihn weg. Er solle sich den anderen nehmen, brüllte er. Flavius war zu besoffen, um den Streit auszutragen und begann mit dem anderen zu spielen.

Cynthia hatte sich indessen von der Theke erhoben, saß lachend am Boden, ihre Kleidung lag in Wein getränkt am Tresen. Der Wirt brachte noch einen Krug Falerner herbei. Wir tranken aus verzierten Hörnern. Köstlich mundete uns der edle Rebensaft. Oh der Wirt, ein syrischer Gauner, vier Denare und zwanzig Asse knöpfte er uns ab.

Wir wankten im Vollrausche durch die Straßen, Flavius und ich. Wobei Flavius noch übler dran war. Taumelnd versuchte er, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Schwer wie Blei waren seine Beine.

Es drehe sich alles in seinem Schädel, lallte er und legte sich in das Gras des öffentlichen Gartens, welchen wir auf dem Heimweg durchschritten. Er lag da im Gras, war sofort eingeschlafen. Ich legte mich zu ihm. Die Sterne am Himmel drehten sich. Plötzlich meldete sich mein Magen. Bei Jupiter, so schlimm hatte ich es noch nie. Ein übles Gefühl marterte meinen Bauch. Ich konnte es nicht zurückhalten. Der Inhalt meines Magens ergoss sich über die Tunika. Ich stank am ganzen Körper nach Erbrochenem. Auch mein Darm gab ein wenig seines Inhalts ab. Ich hüpfte in den Teich des Gartens. Herrlich tat mir das kalte Wasser. Doch mein Kopf blieb vernebelt im Rausche.

In jenem Augenblick erschien mir Juno. Oh schöne, edle, reine Göttin! Ich weiß ja, dass mein Leben unsittlich, verderbt und ungeziemlich ist. Doch hat sie mir ein liebes Weib beschert? Ich machte ihr dies zum Vorwurf. Dem Marcus hatte sie den Publius geschenkt, ließ sie nach Griechenland ziehen, wo sie einander in Liebe ergeben ein ruhiges Dasein fristen. Und was hatte sie mir beschert? Nichts. Dem Vinicius schenkte sie Lydia, eine Freigelassene, ein Prachtweib, das ihm treu ergeben ist. Einer Göttin darf man nicht auf solch derbe Art antworten. Ich bat sie nur um ein mich liebendes Weib, damit ich mein Leben ändern könne. Auch für den Flavius bat ich sie, ihm zu geben, was immer er sich wünschte. Sie verschwand.

In erbärmlichem Zustand erwachte ich. Mein Kopf war ein Wespennest, der Mund trocken. Die Wespen summten und stachen unzählige Male in meinem armen Kopfe. Oh Jupiter, wie ich sie bereute, die Zecherei der vorigen Nacht. Flavius stand auf, wurde bleich und fiel ohnmächtig ins weiche Gras. Die stechende Morgensonne brannte auf uns herab. Ich tauchte meinen Wollgurt ins kalte Wasser des Teiches, wischte Flavius mit dem nassen Tuch die Stirne ab, bis er erwachte. Er setzte sich auf, erhob sich aus dem weichen, grünen Lager und begann zu fluchen. Übel war ihm und seinen Geldbeutel hatte ihm der Knabe gestohlen.

Ich holte eine Sänfte herbei. Es war nicht einfach, so früh am Morgen eine zu ergattern. Flavius ließ ich bei seinem Hause absetzen. Weich war mein eigenes Bett, frisch und wohl tuend. Die Wespen in meinem Kopfe wurden ruhiger, stachen nicht mehr so heftig. Doch lag ich alleine darin. Bei Baccus, es war nicht meine letzte Zecherei, denn, bei Juno, ich werde noch viele Nächte alleine schlafen.


© C. Timidus, Wien im August 2003

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Dienstag, 16. März 2004
Bahnhof Porta Nuova
Nervös tappte Giulio von einem Fuß auf den anderen. Den Blumenstrauß umklammerte er fest mit seiner Hand. Menschen tummelten sich auf den Bahnsteigen des Turiner Hauptbahnhofes, Carabinieri streiften mit ernster Miene durch die Menge. Ob ihr seine neue Frisur gefallen würde? Sein dunkelbraunes Haar hatte er ganz kurz schneiden lassen. Statt der Brillen trug er die Kontaktlinsen, die er ausgesprochen selten verwendete, da sie ihm unangenehm waren. Zu diesem besonderen Anlass nahm er das Unbequeme auf sich, sehe er doch unbebrillt besser aus, fand er. Einen neuen Anzug hatte er eigens für diesen Tag erworben, selbst die Rasur ließ er vom Friseur machen.

Ob sie „ja" sagen würde? Wieder und wieder hatte er seinen Heiratsantrag in ihrer Sprache eingeübt. Er würde sie gleich am Bahnsteig fragen, nachdem sie ausgestiegen war. Was, wenn sie „nein" sagte. Giulio verwarf den Gedanken augenblicklich.

„Ahm, sagen Sie mal, der Eilzug aus Mailand, ist der ausnahmsweise mal pünktlich?", fragte er den Eisenbahnbeamten, der gerade an ihm vorbeiging.
„Ist schon da. Allerdings auf Gleis fünf.", antwortete der Beamte.

„Verdammt!", fluchte Giulio und eilte zum anderen Bahnsteig. Dass nicht einmal die Angaben auf der Anzeigetafel stimmten. Er ärgerte sich. Giulio hatte den Moment von Monikas Ankunft tags zuvor genau geplant, es sollte ein ganz besonderer Augenblick werden, der schönste in beider Leben.

Eigentlich hätte sie ihn am Mobiltelefon anrufen können, als sie den Anschlusszug in Mailand bestieg. Giulio war plötzlich unsicher. Er versuchte sie in der Menge ausfindig zu machen, lief den Bahnsteig auf und ab, betrachtete die Aussteigenden, blickte angespannt zu den Fenstern der Wagone. Er konnte Monika nicht ausfindig machen. Sie sei einfach nicht gekommen, fuhr es ihm durch den Kopf. Ob ihr womöglich etwas zugestoßen sei? Empfand sie überhaupt so viel für ihn? Liebte sie ihn so wie er sie? Wahrscheinlich, mutmaßte er, habe sie einfach den Zug versäumt. Gewiss würde sie im nächsten sitzen, versuchte er sich zu beruhigen.

In einer Stunde würde er nochmals zum Bahnsteig gehen und inzwischen eine kleine Stärkung einnehmen, dachte er. Giulio ging durch die Bahnhofshalle. Neben dem Informationsschalter stand Monika an die Wand gelehnt und blickte missmutig auf die Uhr. Sein Herz begann heftig zu pochen, als er sie erblickte. Für einen kurzen Augenblick hielt er inne und betrachtete sie. Monika stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ist man denn hier niemals pünktlich!", dachte sie ein wenig ärgerlich.

Giulio eilte auf sie zu. In ihrem Gesicht zeichnete sich ein Lächeln der Zuneigung, als sie ihn erblickte.

Sie war doch gekommen. Sein Herz raste in freudiger Aufregung. Er dürfe es einfach nicht vermasseln. Einen tiefen Atemzug machte er, bevor er zu ihr ging.
„Wo warst du denn?", fragte er und umarmte sie. Den Blumenstrauß hatte er noch in der Hand.
„Ich dachte, hier findest du mich leichter. Da war so ein Gewühl am Bahnsteig."
„Sind für dich!", flüsterte er schüchtern.
„Und willehst duu misch..." der Antrag auf Deutsch war ihm trotz des wiederholten Übens entfallen. Giulio begann zu stottern und errötete. Betreten blickte er zu Boden. Monika musste lachen. Da stand Giulio vor ihr, einen etwas mitgenommenen Blumenstrauß in zitternden Händen haltend und wusste weder ein noch aus.

„Ich möchte aber lieber in Wien heiraten, wenn’s dir nichts ausmacht." Monika umarmte ihn. Er war ihr zuvorgekommen. Eigentlich wollte sie diejenige sein, die den Antrag machte. Ferner wollte sie noch ein wenig warten, aber da es nun einmal ausgesprochen war, dachte sie, sei auch jetzt in Ordnung. Es war ihr ernst mit Giulio.

Giulio nahm ihre Reisetasche und gab ihr einen Kuss. Monika betrachtete liebevoll den Blumenstrauß, als sie den lauten Knall hörte und die Druckwelle spürte. Sie fühlte Giulios Hand, als es ihr schwarz vor den Augen wurde.

© C. Timidus, Wien im März 2004

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Donnerstag, 15. Jänner 2004
Zizi geht einkaufen
Gut gelaunt ist Zizi heute. Das neue Einkaufszentrum wird eingeweiht, ein wunderbarer Tag. Gesinge, Geklinge, der Bürgermeister auf der Tribüne. Kurz ist seine Rede, er wolle doch die Feier nicht mit langatmigen Worten stören, er danke jedenfalls den Konzernen.

Rechtzeitig haben sie es noch geschafft, Zizi und ihre Freundin Dada. Im neuen Automobil mit beheizten Ledersitzen. Rasch ein Blick in den Rückspiegel, die Perlonperücke von Bulubul sitzt perfekt. Bulubul muss man besitzen, Dada trägt nur eine Haarspange jener Marke. Es ist sich nicht ausgegangen mit dem Geld, sonst hätte Dada auch eine Perlonperücke wie Zizi. So ist es eben bei der Plastikhaarspange geblieben, in gelb und rosarot.

Sie haben den Beginn verpasst, laufen eilig in die neu eröffnete Wunderwelt. Glänzend in Marmor die Wände, der Boden, edler Stahl im Licht der Lampen, blank poliert die Schaufenster. Die Bühne glüht im Scheinwerferlicht. Wächserne Ebenmäßige harren der groß angekündigten Darbietung. Einer neben dem anderen. Es ist kaum mehr Platz. Zizi und Dada drängeln sich nach vorne. Getöse, ein Tusch, ein Lichtspiel mit dem Markenzeichen von Pampu Kosmetik.

Mumu, der berühmte Mumu, habe sich bereit erklärt, seine neueste Nummer hier darzubieten. Blechern und süß die Stimme aus Hunderten von Lautsprechern, die Ankündigung des Festtages. Rufe der Entzückung, Gestöhne, Schreie der Freude. Die Wächsernen sind hingerissen. Vollständig in Neusprech werde er singen, zu neuen Takten. Zizi ist begeistert, Dada ebenfalls.

Die ersten Hämmertöne schlagen an. Nach vorn und zurück wippen die Ebenmäßigen, im Rhythmus, hin und her. Mumu erscheint im Glitzerkostüm, ergreift das Mikrofon. „Faka faka machen mit du", ein Welterfolg. Erregt bebt die Menge, schreit den Text des Liedes. Nach zwei Minuten beendet Mumu den Rausch aus Tönen.

Zwei Nummern werden noch angekündigt, erfreuen sich nicht so großer Beliebtheit. Alt seien die Lieder, meint Zizi und Dada stimmt zu. Die Menge zerstreut sich allmählich, Mumu singt vor ein paar lustlos Wippenden.

Schöne Dinge werden am flachen Bildschirm vorgestellt. Kremen von Pampu, neue Garderobe von Lullo. Zizi muss diese haben, betritt ein Geschäft, probiert, bezahlt. Dada steht daneben, beobachtet ihre Freundin, sieht sich schließlich nach zu Erwerbendem um. Ein Leibchen geht sich für sie aus, selbst wenn die Kreditkarte überzogen wird. Dada kann mithalten, ein wenig zumindest, lächelt deshalb. Heute ist auch sie glücklich, so glücklich wie Zizi. Vergnügt und heiter schlendern die beiden durch die Menge, ein wenig Kosmetik, eine Plastikuhr in Stirnbandform, für die kalten Tage, von Hompo, fein und teuer. Eine Folge der Serie Plimp flimmert über die Bildschirme. Babompa, die schönste Darstellerin aller Zeiten, weint, abgewiesen vom stählernen Helden. Schlimm, meint Zizi, auch Dada hat Mitleid mit der bewunderten Bapomba.

Abermals Geklinge, Gesinge, schließlich die honigsüße Blechstimme. Es wird gelauscht. Intimschau einer Kette für Koitalwaren in wenigen Minuten. Die Ankündigung des Tages, viel versprechender noch als Mumu. Hurtig strömen die Ebenmäßigen zur Bühne. Zizi nimmt Dada bei der Hand, nimmt noch eine Dose Üpsom mit auf den Weg, reicht der Freundin während des Eilens das Getränk. Dada verschluckt sich, speit gezuckerte Flüssigkeit zu Boden. Trommeln lärmen aus digitalen Maschinen. Ein Muskulöser im Lederanzug tanzt auf der Bühne. Mit einem Ruck ist das ärmellose Oberteil heruntergerissen. Die linke Brustwarze trägt er durchstochen von einem Eisenring. Zwei Tänzerinnen erscheinen. Stahlspitzen tragen sie an ihren Brüsten. Ihre Hüften kreisen um den Muskelkörper. Wollüstig zerren sie an dem Eisenring. Mumus Lied wird gespielt. „Faka faka machen mit du". Noch ein Tänzer, schlank, zart, nackt. Kleine, zierliche Gewichte baumeln an seinem Gemächt. Die Masse gerät in Hitze, bebt. Blusen werden aufgeknöpft, Hemden von Leibern gerissen. Hände berühren andere Körper, fahren lüstern auf Haut, berühren durch Stoff Gesäße, Geschlechter. Man könne in der Filiale im anderen Flügel auf Ebene Tse Faka faka machen, später die Erzeugnisse zum Sonderpreis erwerben, wispert die Blechstimme. Kreischend tobt die Masse, setzt sich in Bewegung. „Faka faka machen!"

Zizi ist entbrannt in Lust. „Faka faka machen!" Im Rausch lässt sie sich laufen von der Masse. Dada möchte eine Prise Lolo, hätte sie sich doch nur eine Packung gekauft. Lolo tut so gut, aber sie konnte ja nicht wissen, dass die Schau so großartig sein würde. Neuerlich Mumus Nummer, wieder und wieder. Alle rennen. Dada stolpert, fällt zu Boden. Niemanden kümmert es. In Hitze geraten, trampeln sie im Feuer der Erwartung über Dada, mit wunderlich starren Blicken ins Kommende. Sie schreit, brüllt. Ungehört bleiben die Schmerzensrufe. „Faka faka machen mit du", erhallt das Gejohle, lässt Dada unbemerkt ihr Leben aushauchen. Zu Brei getrampelt wird sie. Zizi hat sich nicht nach ihr umgesehen. „Faka faka machen", grölen sie, „Faka faka machen!"

© C. Timidus Wien im November 2003

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Letzte Aktualisierung: 2006.03.04, 17:36
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