Timidus
Dienstag, 31. August 2004
Fritz ist im Fernsehen
Für zehn Sekunden ist Fritz im Fernsehen. Die Kamera ist auf seine fettig glänzende Nase gerichtet. Wie ihm das Fest gefalle, wird er gefragt. Fritz darf - „Tolle Fete. Super, gefällt mir“ - sagen. Geschmeichelt hat es ihm, dem Fritz. Ganz stolz tänzelt er durch das Lokal. Ganz Österreich werde ihn sehen, denkt er. Fritz lächelt.

Froh ist er, so froh, dass er hierher gekommen ist. In der Zeitung ist es gestanden, groß angekündigt als Fest des Monats. Und nun ist er gar im Fernsehen. Welch eine Nacht! Samstag ist es, wenn Wien Rio spielt und nicht schlafen geht bis Sonntagnachmittag. Bumm bumm dröhnt es aus allen Ecken, schweißnasse Tänze und das Fernsehen dann und wann. Mitgefilmt muss werden. Nun ist auch Fritz berühmt, für zehn Sekunden. Tamtaratei! Das Leben ist wunderbar!

Kampfa ist mit ihrer Freundin Konga hier. Spaß haben, es kostet ja viel, der Eintritt, die Getränke. Konga schreit Kampfa ins Ohr. Sie habe die Partnervermittlung verklagt. Kampfas Blicke fragen warum. Halbgötter habe sie im Katalog bestellt. Schließlich wäre immer nur ein Häufchen Mensch erschienen am Treffpunkt. So etwas, brüllt sie, könne man sich nicht gefallen lassen, es koste ja eine Stange Geld. Kampfa nickt und widmet sich dem Lärm, wackelt mit dem Körper. Fritz nähert sich den beiden. Er riecht nach Vorstadt, Konga stößt ihn weg.

Die Fernsehleute huschen durch die zuckende Menge. Schnell, schnell. Die Schanka kommt gerade, die prominente Schanka! Scheinwerfer ergrellen den Saal. Sogar die Schanka ist gekommen! Welch ein Erlebnis! Sie erblitzt im Scheinwerferlicht, hebt das hochhackig beschuhte Beinchen in die Kamera. Voller Bewunderung der Reporter. Er liebedienert die Berühmtheit an. Stellt viele Fragen über ihr Leben. Gefärbtes Blondhaar schüttelt sich gegen die Linse, ein rot glänzender Kussmund spitzt sich in ihrem Gesicht. Schanka steht im Mittelpunkt, entblößt ihre Brüste, lässt sich genussvoll filmen.
„Bin ich nicht schööööön?“, piepst sie der Welt entgegen.

Fritz stellt sich auf die Zehenspitzen, kann einen Blick auf Schanka werfen, für zehn Sekunden. Getrunken hat er auch einiges, der Fritz. Er geht aus dem Lokal. Schön ist es gewesen. Zehn Sekunden im Fernsehen und ein Blick auf die berühmte Schanka.

Hinter ihm drängeln sich Konga und Kampfa. Fritz dreht sich um, sieht die beiden, lächelt sie an.
„Schleich dich, du schiacher!“ Konga ist erbosst.
Fritz ist gekränkt. Ein wenig freundlicher hätte die Ablehnung ausfallen können.
„Ich war im Fernsehen!“, sagt er trotzig.
„Na wenn schon!“, grummelt Kampfa zu sich selbst.

Früher Morgen. Menschen wuseln die Prachtstraße entlang. Lachen, Neon, Lärm. Sich selbst vergessen, auch die Tage, von welchen einer dem anderen gleicht. Schal und leer das Lachen, der Tanz, die wohlbekleideten Leiber, die Arten von Beischlaf, welchem so manche sich noch hingeben werden. Ein Püppchen fürs Leben, das wird erträumt.

Ein schriller Tanz Unbeseelter. Morgengrauen. Prächtige Gemäuer von den Sonnenstrahlen in Gold gehüllt. Koren tragen Gesimse von Portalen; Atlanten und Fabelwesen die Giebel oberhalb der Fenster. Rotgolden schimmern die Kuppeln, die Ziegeldächer. Einstmals war diese Stadt groß gewesen, in den alten Mauern ruht der verblichene Glanz. Zu dieser Stunde kann man einen Hauch davon erfühlen.

Fritz wankt zum Taxistandplatz, fällt auf den Polstersitz. Mit süffisantem Lächeln babbelt er seine Adresse in der Vorstadt. Im Fernsehen sei er gewesen, erzählt er. Mit gähnendem Maul erwidert der Lenker. Gelb getüncht ist die Fassade von Fritz’ Wohnhaus. Hübsch, in sanftem Gelb und Weiß. Drinnen bröckelt der Verputz ab. Eine Glühbirne hängt auf schwarzem Draht von der schimmeligen Decke herab. Am Gang miefelt es nach Zwiebeln, Gebackenem und Gebratenem. Kalte Küchendünste. Geschimpfe in fremden Sprachen, selbst um diese Morgenzeit. Fritz fällt in sein ungemachtes Bett. Er schläft lächelnd ein. Im Fernsehen ist er zu sehen gewesen, für zehn Sekunden.

© C. Timidus, 2003

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Letzte Aktualisierung: 2006.03.04, 17:36
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