Timidus
Donnerstag, 15. Jänner 2004
Zizi geht einkaufen
Gut gelaunt ist Zizi heute. Das neue Einkaufszentrum wird eingeweiht, ein wunderbarer Tag. Gesinge, Geklinge, der Bürgermeister auf der Tribüne. Kurz ist seine Rede, er wolle doch die Feier nicht mit langatmigen Worten stören, er danke jedenfalls den Konzernen.

Rechtzeitig haben sie es noch geschafft, Zizi und ihre Freundin Dada. Im neuen Automobil mit beheizten Ledersitzen. Rasch ein Blick in den Rückspiegel, die Perlonperücke von Bulubul sitzt perfekt. Bulubul muss man besitzen, Dada trägt nur eine Haarspange jener Marke. Es ist sich nicht ausgegangen mit dem Geld, sonst hätte Dada auch eine Perlonperücke wie Zizi. So ist es eben bei der Plastikhaarspange geblieben, in gelb und rosarot.

Sie haben den Beginn verpasst, laufen eilig in die neu eröffnete Wunderwelt. Glänzend in Marmor die Wände, der Boden, edler Stahl im Licht der Lampen, blank poliert die Schaufenster. Die Bühne glüht im Scheinwerferlicht. Wächserne Ebenmäßige harren der groß angekündigten Darbietung. Einer neben dem anderen. Es ist kaum mehr Platz. Zizi und Dada drängeln sich nach vorne. Getöse, ein Tusch, ein Lichtspiel mit dem Markenzeichen von Pampu Kosmetik.

Mumu, der berühmte Mumu, habe sich bereit erklärt, seine neueste Nummer hier darzubieten. Blechern und süß die Stimme aus Hunderten von Lautsprechern, die Ankündigung des Festtages. Rufe der Entzückung, Gestöhne, Schreie der Freude. Die Wächsernen sind hingerissen. Vollständig in Neusprech werde er singen, zu neuen Takten. Zizi ist begeistert, Dada ebenfalls.

Die ersten Hämmertöne schlagen an. Nach vorn und zurück wippen die Ebenmäßigen, im Rhythmus, hin und her. Mumu erscheint im Glitzerkostüm, ergreift das Mikrofon. „Faka faka machen mit du", ein Welterfolg. Erregt bebt die Menge, schreit den Text des Liedes. Nach zwei Minuten beendet Mumu den Rausch aus Tönen.

Zwei Nummern werden noch angekündigt, erfreuen sich nicht so großer Beliebtheit. Alt seien die Lieder, meint Zizi und Dada stimmt zu. Die Menge zerstreut sich allmählich, Mumu singt vor ein paar lustlos Wippenden.

Schöne Dinge werden am flachen Bildschirm vorgestellt. Kremen von Pampu, neue Garderobe von Lullo. Zizi muss diese haben, betritt ein Geschäft, probiert, bezahlt. Dada steht daneben, beobachtet ihre Freundin, sieht sich schließlich nach zu Erwerbendem um. Ein Leibchen geht sich für sie aus, selbst wenn die Kreditkarte überzogen wird. Dada kann mithalten, ein wenig zumindest, lächelt deshalb. Heute ist auch sie glücklich, so glücklich wie Zizi. Vergnügt und heiter schlendern die beiden durch die Menge, ein wenig Kosmetik, eine Plastikuhr in Stirnbandform, für die kalten Tage, von Hompo, fein und teuer. Eine Folge der Serie Plimp flimmert über die Bildschirme. Babompa, die schönste Darstellerin aller Zeiten, weint, abgewiesen vom stählernen Helden. Schlimm, meint Zizi, auch Dada hat Mitleid mit der bewunderten Bapomba.

Abermals Geklinge, Gesinge, schließlich die honigsüße Blechstimme. Es wird gelauscht. Intimschau einer Kette für Koitalwaren in wenigen Minuten. Die Ankündigung des Tages, viel versprechender noch als Mumu. Hurtig strömen die Ebenmäßigen zur Bühne. Zizi nimmt Dada bei der Hand, nimmt noch eine Dose Üpsom mit auf den Weg, reicht der Freundin während des Eilens das Getränk. Dada verschluckt sich, speit gezuckerte Flüssigkeit zu Boden. Trommeln lärmen aus digitalen Maschinen. Ein Muskulöser im Lederanzug tanzt auf der Bühne. Mit einem Ruck ist das ärmellose Oberteil heruntergerissen. Die linke Brustwarze trägt er durchstochen von einem Eisenring. Zwei Tänzerinnen erscheinen. Stahlspitzen tragen sie an ihren Brüsten. Ihre Hüften kreisen um den Muskelkörper. Wollüstig zerren sie an dem Eisenring. Mumus Lied wird gespielt. „Faka faka machen mit du". Noch ein Tänzer, schlank, zart, nackt. Kleine, zierliche Gewichte baumeln an seinem Gemächt. Die Masse gerät in Hitze, bebt. Blusen werden aufgeknöpft, Hemden von Leibern gerissen. Hände berühren andere Körper, fahren lüstern auf Haut, berühren durch Stoff Gesäße, Geschlechter. Man könne in der Filiale im anderen Flügel auf Ebene Tse Faka faka machen, später die Erzeugnisse zum Sonderpreis erwerben, wispert die Blechstimme. Kreischend tobt die Masse, setzt sich in Bewegung. „Faka faka machen!"

Zizi ist entbrannt in Lust. „Faka faka machen!" Im Rausch lässt sie sich laufen von der Masse. Dada möchte eine Prise Lolo, hätte sie sich doch nur eine Packung gekauft. Lolo tut so gut, aber sie konnte ja nicht wissen, dass die Schau so großartig sein würde. Neuerlich Mumus Nummer, wieder und wieder. Alle rennen. Dada stolpert, fällt zu Boden. Niemanden kümmert es. In Hitze geraten, trampeln sie im Feuer der Erwartung über Dada, mit wunderlich starren Blicken ins Kommende. Sie schreit, brüllt. Ungehört bleiben die Schmerzensrufe. „Faka faka machen mit du", erhallt das Gejohle, lässt Dada unbemerkt ihr Leben aushauchen. Zu Brei getrampelt wird sie. Zizi hat sich nicht nach ihr umgesehen. „Faka faka machen", grölen sie, „Faka faka machen!"

© C. Timidus Wien im November 2003

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Aussergewöhnlicher Schreibstil,
musste ich erstmal sacken lassen um ihn danach für gut und "lesig" zu befinden. Namen und Bezeichnungen, die gegen beliebig viele andere Namen und Bezeichnungen ausgetauscht werden können, irritierend, zum denken und nachdenken anregend.

Kompliment, ich bin neugierig auf die nächste Geschichte, Interesse nachhaltig geweckt.

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Ja,
ich mußte unwillkürlich an "A Clockwork Orange" von Anthony Burgess denken.

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Wow.
Ziemlich gut. Danke.

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Letzte Aktualisierung: 2006.03.04, 17:36
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