Timidus
Montag, 5. April 2004
Zenendas Geheimnis
Zenenda sitzt an der Bar, die Ellbogen am Tresen gestützt. Rotwein schillert im Licht der Lampe über ihr, im hochstieligen Glas. Fein gemacht hat sich Zenenda, ein hübsches Kleid trägt sie, hebt es für ihre Wochenenden auf. Schonen muss man das Gewand, das Geld hat zu reichen, viel für die Robe auszugeben darf sich Zenenda nicht erlauben.

Pechschwarzes Haar sorgfältig gekämmt, zu einem kleinen Kunstwerk nach hinten gesteckt. Am Wochenende ist Zenenda herausgeputzt. Rento steht hinter der Bar, nimmt den Aschenbecher, leert rot umrandete Kippen in eine Tonne. Ein Gläschen könne sie sich noch gönnen. Schelmisch sein Lächeln. Zenenda kann nicht widerstehen und nickt.

Früh pflegt sie die Bar aufzusuchen, samstags, zu einer Stunde, da kaum Gäste dort sind. Rento ist ein wenig gelangweilt. Noch ist nicht viel zu tun. Ein Seufzen, ein Blick auf die Uhr an der Wand. Wie denn ihre Woche gewesen sei, fragt er beiläufig.

„Wie immer", Zenendas Arbeit und ihre Einsamkeit. Strampeln, den Kopf über den Wasserspiegel halten, umringt von verschlagen lächelnden Feinden. Bleierne Schwere am Abend, verlassen in den Nächten, in eine Steppdecke gewickelt. Blühende Zimmerveilchen, der Blick auf die zarten Gebilde, eine kleine Freude vor dem Schlafengehen.

Zenenda kommt Rentos wegen. Setzt sich an die Bar auf ihren angestammten Hocker, auf dass sie ihm nachblicken könne, heimlich, verstohlen, wenn er Getränke aus den Flaschen zapft. In manchen Nächten mag der Schlaf nicht kommen, da denkt Zenenda an Rento, sieht sein Antlitz vor sich, die wohlgestalte Zeichnung der zinnoberfarbenen Lippen, die blauen Augen, den kurzen, blonden Spitzbart, sein Haar im Bürstenschnitt, den kleinen Bauch, welcher das Hemd sachte wölbt. So kommt schließlich der Schlaf, süß und sanft, hebt sie behutsam in das Reich der Träume.

Samstags ist Zenenda aufgeregt, darf sie doch Rento wieder sehen. Bisweilen schenkt er ihr ein Lächeln. Doch gibt er es allen, ist schließlich Teil des Gewerbes. Zenenda weiß das, insgeheim träumt sie jedoch, es sei besonders, eigens für sie. Gäste treten ein, die Bar füllt sich mit Lärmenden, Lachenden, Scherzenden. Rento ist nun sehr beschäftigt, schenkt in Gläser ein, trägt sie auf einem Tablett zu den Tischen, stellt sie an die Theke. Zenenda trinkt, alleine, stumm, lässt ihre Augen ihm folgen.

Stunden vergehen, im Dunst, im Rauch, im leichten Rausch. Der Wein erheitert ihr Gemüt ein wenig, macht sie träumen, macht sie lächeln, stumm in das Glitzerspiel am schwarzen Lack der Theke hinein. Rauchige Klänge aus den Lautsprechern. Schneller scheinen sich die Zeiger der Uhr zu drehen. Es ist der Wein, welcher zu Kopf steigt, das Draußen vergessen lässt und stattdessen Träume zaubert. Stunden zerfließen, rinnen immer schneller. Die Bar leert sich allmählich. Zenenda bleibt, bittet Rento um Kaffee. Abermals ein Lächeln, diesmal ist es für sie. Die Lärmenden sind inzwischen gegangen. Zenenda ist nun alleine mit Rento. Die letzten Klänge, das Zischen der Kaffeemaschine. Er dreht das Licht ab, knipst eine Lampe hinter dem Tresen an, zählt Münzen und Scheine. Kurz blickt er auf. Ein langer Blick in ihre Augen. Nur das Surren der Belüftung ist zu hören.

Ob er denn jemanden habe, möchte Zenenda wissen. Ein verschmitztes Lächeln. Nur so eine Zwischengeschichte, wie er es einschätze, aber es könnte etwas daraus werden. Zenenda ist ernüchtert. Rentos Antwort und der Mokka.

Möge er doch berühren mit seinem Mund den ihren. Neuerlich treffen sich der beiden Blicke, für einen Moment, tief sieht einer in den anderen. Beinahe meint sie sein Herz zu erkennen in den blauen Augen. Sollte sie ihm gestehen, dass sie ihn liebe?

Er müsse jetzt sperren, sagt Rento. Zenenda bezahlt. Rento hilft ihr in den Mantel, hält inne, als sie in die Ärmel schlüpft. Sachte umfasst er ihre Hüfte, zart, kaum merklich ist die Berührung seiner Lippen auf ihren Mund. Es sei Zeit zu gehen, bevor noch etwas bereuenswertes geschehe, sagt er. Zenenda nickt, knöpft den Mantel zu. Sie solle bloß niemanden von den Gästen etwas erzählen, wenn sie wieder komme. Ein Geheimnis solle es bleiben, der sanfte, zarte Kuss. Seine Freundin könnte dahinter kommen, kennt sie doch einige der Gäste. Zenenda verlässt die Bar. Dunkel sind die Straßen, in ein paar Fenstern schimmert noch Licht. Eisige Winterstille. Weißes Mondlicht spiegelt sich im von Nieselregen benetzten Asphalt.

Zenenda hört den Takt ihrer Schritte. Lächelnd blickt sie zum Mond. Hat sie doch ein zartes Geheimnis.

© C. Timidus, 2003

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Letzte Aktualisierung: 2006.03.04, 17:36
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